Die geplante EU-Richtlinie zur Plattformarbeit ist erneut an den Mitgliedsstaaten gescheitert. Eigentlich hätten am Freitag die Botschafter:innen dem Gesetz ihre Zustimmung erteilen sollen. Stattdessen stimmte Frankreich aber gegen das Gesetz, Deutschland, Estland und Griechenland enthielten sich. Damit unterstützten zwar 23 von 27 Mitgliedstaaten das Gesetz, es konnte aber nicht den notwendigen Anteil der EU-Bevölkerung hinter sich versammeln.
Die Richtlinie hätte eine „qualifizierte Mehrheit“ von 65 Prozent der EU-Bürger:innen gebraucht. Zustande gekommen sind 63 Prozent. Hätte einer der vier Staaten stattdessen für das Gesetz gestimmt, wäre die notwendige Mehrheit zustande gekommen. Deutschland hat sich bisher bei allen Abstimmungen zu der Richtlinie enthalten, weil die FPD eine Zustimmung blockiert.
Schon erster Kompromiss gescheitert
Es war bereits der zweite Anlauf für die geplante Richtlinie. Bereits im Dezember hatten die Mitgliedstaaten einen ersten Kompromiss abgelehnt, weil sie darin zu viele Zugeständnisse an die arbeiter:innenfreundliche Position des EU-Parlaments sahen. Das war bereits ungewöhnlich: Normalerweise stehen Einigungen aus den sogenannten Trilogverhandlungen zwischen Rat und Parlament fest.
Die beiden Institutionen mussten sich deshalb im neuen Jahr erneut zusammensetzen. Sie einigten sich schließlich auf einen neuen Entwurf, der die Richtlinie in ihren zentralen Punkten deutlich abschwächte. Selbst diese geht aber anscheinend einigen EU-Regierungen und der FDP noch zu weit.
Gegen Scheinselbstständigkeit
Die EU-Kommission hatte das Gesetz 2021 vorgeschlagen, um die Rechte von Arbeiter:innen auf Plattformen wie Uber oder Deliveroo zu stärken. Viele dieser Menschen gelten juristisch als selbstständig. Damit haben sie mehr Freiheiten, aber ihre Arbeitgeber:innen auch weniger Pflichten: Sie sind etwa nicht an den Mindestlohn gebunden oder zahlen nicht in Rentenfonds ein. Wenn Arbeiter:innen dagegen vorgehen wollen, ist das oft ein jahrelanger Prozess. Sie müssen dann vor Gericht aufwendig beweisen, dass sie eigentlich doch Angestellte sind. Das wollte die Richtlinie umdrehen.
Zentrales Werkzeug dafür ist die sogenannte Annahme eines Angestelltenverhältnisses. Plattformen sollten in Zukunft beweisen müssen, dass Arbeiter:innen nicht als Angestellte gelten sollen. Dafür enthielt der erste Entwurf der EU-Kommission fünf Kriterien, an denen ein Arbeitsverhältnis gemessen werden sollte. Dazu gehört etwa, ob eine Plattform die Höchstgrenze der Bezahlung von Arbeiter:innen festlegt. Klare Kriterien, einheitlich in der gesamten EU – so die Idee.
Verwässerte Version
Diese Kriterien waren in dem Entwurf, über den die Mitgliedsstaaten am Freitag abstimmten, bereits nicht mehr enthalten. Sie konnten in den neuen Verhandlungen nach Weihnachten durchsetzen, dass die Kriterien völlig aus dem Text gelöscht wurden. Stattdessen sollten die Mitgliedstaaten weitgehend frei eigene Kriterien festlegen können, an denen ein Angestelltenverhältnis gemessen werden sollte.
Damit hätte eine unternehmensfreundliche Regierung wie die Macrons in Frankreich weichere Regeln festlegen können, während etwa die sozialdemokratische Regierung Spaniens wahrscheinlich eher härtere beschlossen hätte. Das Ergebnis: Europa wäre gespalten geblieben, die Richtlinie hätte damit ihr zentrales Ziel verfehlt.
Trotzdem sah der Kompromiss weiterhin umfassende neue Rechte im Bereich algorithmisches Management vor – also zu Software, die menschlichen Angestellten Anweisungen geben oder Entscheidungen über sie treffen darf. Unternehmen hätten Arbeiter:innen etwa beteiligen müssen, wenn sie solche Systeme neu einführen wollten. Außerdem sollten Arbeiter:innen sich erklären lassen dürfen, auf Grundlage welcher Daten Systeme Entscheidungen über sie getroffen hätten.
„Auch die Verantwortung von Bundeskanzler Scholz“
Befürworter:innen der Richtlinie kritisierten das Scheitern der Richtlinie scharf. „Dass neben Frankreich auch die deutsche Bundesregierung der Richtlinie nicht zugestimmt hat, ist beschämend“, sagte der EU-Parlamentarier Andreas Rasmussen (Grüne, Deutschland). „Ich verstehe nicht, wie ein sozialdemokratischer Bundeskanzler eine Enthaltung beim Schutz von Beschäftigten rechtfertigen kann. Dass Millionen von Beschäftigten auch weiter unter schlechten Arbeitsbedingungen und Dumpinglöhnen leiden, ist auch die Verantwortung von Bundeskanzler Scholz.“
„Schande über Macron“, sagte Leïla Chaibi, französische Linken-Abgeordnete im EU-Parlament und Schattenberichterstatterin zur Richtlinie.
Ludovic Voet, zuständiger Gewerkschaftssekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds, kritisierte die Lobbyverbindungen von Plattformfirmen. Er forderte nun die Regierungen der 23 Mitgliedstaaten, die das Gesetz unterstützten, zu Eigeninitiative auf: „Die Kommission und die Mitgliedstaaten müssen jetzt handeln, um nicht Millionen an hart arbeitenden Menschen für Ausbeutung verwundbar zu lassen“, sagte er am Freitag.
Fuer Scholz zaehlt nur die eigene Regierungsbeteiligtung, alles andere ist egal. Bei den derzeitigen Verhaeltnissen mit starker AfD muss die SPD dafuer nur eine bequemere Option fuer die CDU als die Gruenen sein. Das ist einfach: umfallen kann die SPD wie keine zweite Partei, siehe Berlin.
An einer Schwaechung der Gruenen hat er daher grosses Interesse, an einer Schwaechung der AfD weniger.
Daher kann die FDP machen, was sie will, und Scholz deckt es.
Und wieder eine „German Vote“. Verbrenner-Aus, beim Lieferketten-Gesetz, beim KI-Act, oder jetzt Plattform-Arbeit.
Der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß schrieb schon vor einem Jahr an die Bundesregierung, „wir büßen europapolitische Reputation ein, die unsere Stellung in Brüssel weit über das jeweilige Dossier hinaus beschädigt.“
Das interessante ist, dass Deutschland erst bei den entscheidenden letzten Runden seine „Meinung“ ändert. Das macht sie zu unverlässlichen Verhandlungspartnern und schädigt ganz grundlegend deutsche Positionen in der EU. Dahinter steckt ziemlich viel neoliberaler Sand, den eine ideologisch verblendete FDP ins Getriebe streut, mit dem Ziel Regulation zu verhindern, wo immer das möglich ist.
Ich denke im Artikel fehlt die Perspektive der Gegner dieser Richtlinie. Als Selbstständiger im IT Bereich erlebe ich bereits seit längerem das Problem dass die Bekämpfung der sogenannten „Scheinselbstständigkeit“ dazu führt dass Unternehmen keine Aufträge mehr an Selbstständige vergeben. Stattdessen wird gegen geringeres Geld und mit weiteren Nachteilen eine Zeitarbeitsstelle über Dritte angeboten – für mich genau so wenig interessant wie eine Festanstellung. Bisher hat man es in Deutschland nicht hinbekommen genau zu definieren wer wann als selbstständig gilt. Seit 2003 spricht das Gesetz nur noch von „Anhaltspunkten“ die dann Beamte und Richter recht willkürlich auslegen können. Sicherlich ist hier auch einer der Hintergründe dass einige Unternehmen recht clever darin waren die vorherigen Regeln zu umgehen um ihre Angestellten in die unerwünschte Selbstständigkeit zu zwingen.
Die Plattformrichtlinie der EU hat den Begriff „Plattform“ extrem weit gefasst. Jeder der in irgendeiner Form digital Aufträge erhält könnte bereits darunter fallen. Die Sorge ist dass viele freiwillig Selbstständigen durch staatlichen Zwang zu Angestellten werden. Das ist ein starker Eingriff in die Berufs- und Vertragsfreiheit.
Es steht im Übrigen jedem EU Land frei eine eigene nationale Regelung zu beschließen, in den meisten EU Ländern gibt es bereits Gesetze. Die meisten Lieferfahrer sind in Deutschland bereits Angestellte. Es gibt keine gute Statistik darüber wer unter diese Regelung fallen würde, der Begirff „Plattform“ ist dafür nicht ausreichend definiert und es gibt generell wenige Zahlen zu Selbständigen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat ein mehrjähriges Moratorium bei Sozialausgaben und Subventionen verlangt, um mehr Geld in Verteidigung investieren zu können. „Wenn es uns gelänge, mal drei Jahre mit dem auszukommen, was wir haben, dann wäre das ein ganz großer Schritt zur Konsolidierung“, sagte der FDP-Chef.
https://www.tagesschau.de/inland/lindner-moratorium-100.html
Wenn Ärmere weniger Brötchen kaufen können, dann muss Herr Lindner mit seinem Porsche nicht so lange beim Bäcker warten.
https://netzpolitik.org/2022/geheime-sms-christian-lindners-porscheproblem/